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Wilfried Neiße | Neues Deutschland

Abschied von Geschichte und Physik

Traditionelle Unterrichtsfächer verschwinden. Ab 2016/2017 gelten neue Rahmenlehrpläne

In Brandenburg wird es neue Rahmenlehrpläne geben, die neue Fächerkombinationen vorsehen. Am Donnerstag wurde dies im Landtag debattiert.

"Es ist ja noch nichts entschieden", betonte Bildungsminister Günter Baaske (SPD) am Donnerstag im Landtag. Vieles werde noch einfließen. Es werden neue Rahmenlehrpläne für die Schulen in Berlin und Brandenburg entwickelt. Für Aufregung sorgte dabei der Plan, die Fächer Geografie, Politische Bildung und Geschichte als Gesellschaftslehre gleichsam zusammenzulegen. Das gleiche gilt für Physik, Chemie und Biologie, die kombiniert ein neues Unterrichtsfach Naturwissenschaften ergeben sollen.

Es gebe jetzt schon Schulen, die freiwillig Gesellschaftswissenschaften eingeführt haben, "weil sie es cool finden", schwärmte Baaske. Er verwies darauf, dass Geschichtslehrer selbst eine Entschlackung des Lehrplans wünschten, da sie bisher 50 Themen in 40 Unterrichtsstunden behandeln sollten und damit kaum zu Rande kamen. Baaske sagte, er sei selbst einmal Physiklehrer mit Leib und Seele gewesen. Er habe aber, wenn Kohäsion und Adhäsion dran gewesen sei, auch erklärt, warum der Käfer die Wand hochkrabbeln kann, was ja streng genommen dem Biologieunterricht zuzurechnen ist.

Bereits am Dienstag hatte die Landtagsabgeordnete Kathrin Dannenberg (LINKE) erläutert, wie die Lehrpläne für Grundschule, Sekundarstufe II und Förderschule verändert werden sollen, um den Lehrern größere inhaltliche Freiheiten einzuräumen. Die Korrektur ist nach Auffassung von Dannenberg eine gute Grundlage für die Möglichkeit, in den Klassen 1 bis 10 ein gemeinsames Lernen in einer Schule vor Ort zu gewährleisten. So soll ein Lernen in "Schubläden" ersetzt werden durch einen inhaltlich übergreifenden Ansatz. Auch Dannenberg sprach von einer bevorstehenden "Entschlackung" und außerdem und von der "Orientierung an den Lebenswelten" der Kinder. Künftig werde nicht mehr der chronologische Verlauf der Geschichte von den Anfängen bis zur Neuzeit dominieren. Vielmehr könne der Lehrer die ihm wichtigen Themen herausgreifen und entsprechend der Schülerkompetenzen und der Klassensituation vertiefen. Der geschichtliche "Zahlenstreifen" werde nicht mehr das Bestimmende sein.

Vorausgehen müsse der Umstellung eine intensive Weiterbildung, die auch jene Pädagogen befähigen werde, die sich diesen Prinzipien derzeit noch "nicht gewachsen fühlen".

Die Opposition kritisierte den Plan als "Abschaffung des Faches Geschichte" und verwies auf die Fachverbände der Geschichtslehrer in Berlin und Brandenburg, die eine Petition dagegen organisiert haben, dass das Fach Geschichte in der Grundschule als eigenständiges Unterrichtsfach abgeschafft werden soll. Das wies Dannenberg zurück. Vielmehr sei vorgesehen, in dem neuen Fach Gesellschaftslehre, dem in der 5. und 6. Klasse künftig drei Unterrichtsstunden pro Woche eingeräumt sein werden, zur Hälfte historische Themen zu behandeln. In diesem Rahmen könnten "unterschiedliche Themen aufgemacht" werden. Sie verspreche sich von der geplanten Zusammenlegung einen größeren Lernerfolg, betonte Dannenberg.

Im Schuljahr 2015/16 sollen die neuen Pläne, die im Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg ausgearbeitet wurden und die derzeit in der Fachwelt, aber auch in der Öffentlichkeit kontrovers debattiert werden, die Schulen zur Vorbereitung erreichen. Ein Jahr später sollen sie verbindlich sein. Mit dem März endet die Anhörungsphase, bis zum Sommer werden die Stellungnahmen ausgewertet.

Auch unter den Lehrern sind die Pläne umstritten, denn ein Teil von ihnen hält die Differenzierung der Lehrpläne für geboten. Während es vergleichsweise wenig Bedenken an den Fähigkeiten von Geschichtslehrern gibt, zuzüglich Politische Bildung und Geografie zu unterrichten, ist es in den naturwissenschaftlichen Fächern anders. Fühlt sich jeder Biologielehrer befähigt, auch Chemie und Physik zu lehren? Aus Sicht des CDU-Landtagsabgeordneten Gordon Hoffmann stellen die Neuerungen den Versuch dar, "den Fachlehrermangel statistisch zu lösen". Wenn Lehrer nun auch in Fächern Unterricht geben müssen, für die sie gar nicht ausgebildet seien, dann gebe es natürlich diesen Mangel offiziell nicht mehr, spottete er. Mit den wirklichen Problemen im Bildungsbereich habe diese Politik aber nichts zu tun.

Hoffmann kritisierte die "grottenschlechte" Informationspolitik des Bildungsministeriums. Inzwischen sei es so, dass Eltern aufgeregt an den Schulen anrufen und fragen, ob ihre Kinder künftig wirklich keine Zensuren mehr bekommen sollen. "Die Eltern laufen Sturm", sagte Hoffmann.

Im Landtag stellte Minister Baaske klar, dass die Abschaffung der Zensuren nicht vorgesehen sei und das dies mit den Rahmenlehrplänen auch überhaupt nichts zu tun habe.