Diese Website verwendet Cookies.
Zum Hauptinhalt springen

Kathrin Dannenberg

Konzept für eine systematische Qualifizierung der Berufsorientierung

Rede von Kathrin Dannenberg (MdL, DIE LINKE) zur 6. Sitzung des Brandenburger Landtags am 21. Januar 2015

Kathrin Dannenberg sprach zum Tagesordnungspunkt 9:

Konzept für eine systematische Qualifizierung der Berufsorientierung (Antrag der SPD-Fraktion und der Fraktion DIE LINKE)
Drucksache  6/410

[Rede als Video]

"Sehr geehrter Herr Vizepräsident, sehr geehrte Abgeordnete,

in den 25 Jahren als Lehrerin hatte ich einen sehr guten Zugang zu meinen Schülerinnen und Schülern, ganz besonders übrigens durch das Fach LER. In diesem Fach geht es unter anderem um Lebensgestaltung von Jugendlichen. Eine zentrale Frage hierbei war: Wie stellt ihr euch denn eure Zukunft vor? In den Antworten stehen immer drei Dinge ganz oben: Ich wünsche mir einen guten Beruf, eine Familie, ein schönes Zuhause. Eines können Sie mir glauben: Das kommt von Herzen.

Das bedeutet, Jugendliche verbinden ihre Zukunft und die Schule eng mit ihrem späteren
Berufsleben. Jedoch wissen viele Jugendliche nicht, was zu ihnen passt. Andere fühlen sich überfordert. Manche sind schlichtweg nicht so fleißig, das muss man auch einmal sagen. Wieder andere wissen nicht, welche Berufe sie mit ihrem Schulabschluss anstreben können. Einige kennen die Berufswelt nur aus dem Fernsehen und die Vielfalt an möglichen Berufen leider nur in Ansätzen. Das Hauptproblem dabei: Sie kennen ihre eigenen Ressourcen, ihre Stärken und ihre Potenziale nicht. Es fehlt ihnen an Wissen über sich selbst.

Jugendliche orientieren sich natürlich vordergründig an ihren Eltern, wenn diese wissen, was das Beste für sie ist. Die Berufsperspektiven für ihre Kinder sind ihnen dabei sehr wichtig. Sie informieren sich, ebnen die Wege, fördern ihre Talente, kümmern sich um Nachhilfe oder Coachings, Auslandsaufenthalte oder Sprachkurse.
Aber es gibt auch Eltern, die das nicht leisten können, und das aus den unterschiedlichsten
Gründen. Wenn das der Fall ist, wird die Berufswahl zu einer schwierigen Aufgabe oder findet bei vielen Jugendlichen eher gar nicht statt. Dann ist die Schule gefragt, die hier eine ganz große Verantwortung hat.

Für uns LINKE steht der allgemeinbildende Anspruch von Schule im Vordergrund. Wir definieren Schule als einen Ort, an dem sich jeder entwickeln kann, gefördert wird, stark gemacht wird, kurzum einen Ort, an dem Erziehung und Bildung zu weltoffenen, toleranten und selbstbestimmten Menschen im Vordergrund steht.
Die Berufsorientierung ist dabei ein ganz wichtiger Bestandteil. Es sollte aber nicht vordergründig um die Verwertbarkeit von Jugendlichen für die Wirtschaft gehen. Junge Menschen brauchen auch heute noch unsere Unterstützung bei ihrer Identitätsfindung,
vielleicht noch mehr als je zuvor. Soziale Kompetenzen lassen sich eben am Computer nicht entwickeln. Sie brauchen eine Berufsorientierung, die es ermöglicht, sich auszuprobieren, auch mal Fehler zu machen, Erfahrungen zu sammeln, praxisnah verschiedenste Berufe kennenzulernen.

Womit haben wir es in Brandenburg zu tun? Es ist Fakt, wir haben einen Fachkräftemangel.
Wir haben eben kein Überangebot von Jugendlichen mehr, unter denen die Ausbildungsbetriebe auswählen können. Wir haben eine Schulabbrecherquote von 10 Prozent, und wir haben das Phänomen der Schulverweigerer, das sich durch alle sozialen Schichten in Deutschland zieht. Die Rektorin einer Schule im Süden des Landes Brandenburg schrieb mir, dass mit dem Stand vom 18.11.2014 die Quote an ihrer Schule bei 40 % liegt. Eines können Sie mir glauben: Die Frau will dieses Problem nicht nur verwalten. Sie schrieb mir - Zitat:
„Es bringt unserer Meinung nach nicht viel, die Elternhäuser bzw. die Verweigerer
mit Ordnungsgeldern zu bestrafen.“

Es geht nicht nur um junge Menschen, sondern um die künftigen Azubis und Fachkräfte.
Wir haben in Brandenburg eine Abbrecherquote in der Berufsausbildung, die bei 29,9 % liegt. Nicht selten geraten gerade Abbrecher ins soziale Abseits. Hartz IV fördert kaum die Selbstreflexion der eigenen Persönlichkeit. In den geförderten Maßnahmen sitzen im Übrigen fast 50 % junge Menschen bis zum 30. Lebensjahr. Der Knick im Leben des Einzelnen nicht zu unterschätzen, der wirtschaftliche Schaden für unser Land ist immens. Die Ausbildungsbeteiligung der Unternehmen in Brandenburg liegt bei 22 %, wobei rund 55 % der Betriebe in Brandenburg ausbildungsberechtigt sind.

2014 waren 1 310 Lehrstellen unbesetzt. Das Interesse an der dualen Ausbildung ist in Brandenburg geringer als im Ost-West-Durchschnitt. Es wird also deutlich: Wir haben noch viel zu tun, denn wir können und wollen niemanden zurücklassen. Allen Jugendlichen muss ein Berufseinstieg ermöglicht werden. Jeder soll seine Chance zur Ausbildung haben. Deshalb möchten wir, DIE LINKE, die Schritte in der Schule und dann von der Schule zum Beruf optimieren. Optimieren heißt für uns: individuell, in Bezug auf die einzelne Persönlichkeit. In Brandenburg gibt es sehr viele Projekte und Initiativen, die dahin gehend lobenswert sind, wie zum Beispiel die Berufsorientierung. Die ist in zahlreichen weiterführenden Schulen schon fester Bestandteil des Schulprofils. Daran haben die Kollegen intensiv gearbeitet.

Über 70 Schulen haben das Zertifikat „Schule mit hervorragender Berufs- und Studienorientierung“. Es gibt das Netzwerk „Zukunftsschule und Wirtschaft“, wo die Schulen, Hochschulen, Unternehmen und Sozialpartner miteinander vernetzt werden. Es gibt Schülerbetriebspraktika, Praxislernen, Berufswahlpässe, Schülerfirmen, Zukunftstag, Kooperation mit den Arbeitsagenturen, die IHK-Lehrstellenbörse, Berufsbildungs- und Studienmessen, Potenzialanalysen, das Modellprojekt „Netzwerk Türöffner“ und die Initiative „Oberschule“.

Die Angebote sind sehr zahlreich, jedoch unübersichtlich und nicht flächendeckend - das ist ein großes Problem - und dadurch für viele Schulen nicht nutzbar und leider an Schulen oft gar nicht bekannt. Für viele Projekte, zum Beispiel die Initiative „Oberschule“ bedarf es eines hohen Verwaltungsaufwands, um die Anträge auszufüllen. Ich selbst habe stundenlang an solchen Anträgen in der Schule gesessen. Und was machen Schulen im ländlichen Bereich, wo kaum Wirtschaft vorhanden ist? Wie kann dort Praxislernen organisiert werden? Da müssen Busse zur Verfügung gestellt werden - wer soll das bezahlen? Wie könnten insbesondere kleinere Betriebe unterstützt werden, die gern mit den Schulen kooperieren würden, aber gleichzeitig einem enormen Konkurrenzdruck ausgesetzt sind?

Schülerinnen und Schüler vom Gymnasium berichten, sie möchten mehr Betriebspraktika
sowie eine begleitende Studienorientierung nicht erst ab der 12. Klasse. Außerdem fehlt es flächendeckend an Koordinierungs- und Beratungsstellen für Jugendliche und Eltern, die ihre Arbeit vielleicht schon für Schüler ab der 7. Klasse beginnen und dann weiterführend in die Berufsausbildung gehen. Und wohin wenden sich im Übrigen Jugendliche mit einer Behinderung? Der Weg für diese Jugendlichen und ihre Eltern ist sehr, sehr kompliziert.

Wir brauchen ein Konzept für die Stärkung der Berufsorientierung und den Übergang von der Schule in die Berufsausbildung. Die vorhandenen Angebote sollten geordnet, analysiert, konkretisiert und festgeschrieben werden. Es sollten mögliche Synergien geprüft werden, Transparenz geschaffen, eine engere Vernetzung mit der Wirtschaft hergestellt werden, die nötigen Förderinstrumente müssen ausgelotet werden und die Finanzierung muss sichergestellt werden. Wir brauchen besondere Angebote für individuelle Begleitung von Jugendlichen mit schlechten Startchancen.

Noch einmal: Es ist wichtig, ein flächendeckendes Angebot zu bieten und die vorhandenen
Instrumente in ein Gesamtkonzept einzubetten und in einem landesweiten Netzwerk zu verknüpfen, welches für Schüler, Lehrer und Eltern praktikabel, konkret, sicher und nachhaltig ist.

Sehr geehrte Abgeordnete, ich bitte Sie daher, den Antrag an die Landesregierung, bis zum Ende des III. Quartals 2015 dieses Konzept vorzulegen, zu unterstützen.

Vielen Dank.